Die GemüseAckerdemie ist ein Bildungsprogramm von Acker

Acker Porträt 01. Oktober 2021

Die AckerPerle Integrierte Gesamtschule Remagen

Damit der Acker wächst und gedeiht, muss er gut bewässert werden. IGS Remagen

Michaela Lohmer ist AckerLehrerin an der Integrierten Gesamtschule Remagen. Die Schule kam zum Acker über ein Gewinnspiel, das sie überraschend gewannen – heute ist der Acker fester Bestandteil der Schulkultur und kaum noch wegzudenken. Und weil die IGS Remagen ihren Acker und die GemüseAckerdemie besonders erfolgreich integriert hat, gehört sie zu unseren „AckerPerlen“. Für diese Rubrik haben wir im Rahmen unserer Wirkungsanalyse Interviews mit den Schulleitungen, Lehrer*innen und Schüler*innen von AckerSchulen gemacht, die durch ihre besonderen Schulkonzepte auffallen. Um ein umfassendes Bild vermitteln zu können, stellen wir euch insgesamt neun dieser AckerPerlen in den kommenden Wochen vor. Heute kommt die fünfte AckerPerle: Die Integrierte Gesamtschule Remagen! 

Autorin: Lena Hetzer / Acker e. V.
Fotos: IGS Remagen

Steckbrief 

Ort: Remagen

Bundesland: Rheinland-Pfalz

Schulform: Gesamtschule (mit Ganztagsangebot)

Schüler*innen: 750 

AckerKlassen: 6. und 7. Klassenstufe

Anzahl Lehrer*innen/Mitarbeiter*innen: circa 80   

Anzahl AckerLehrer*innen:

AckerSchule seit: 2017 

Größe des Ackers: circa 180 m2 

In der Integrierten Gesamtschule (IGS) Remagen haben Schüler*innen die Möglichkeit, jeden Schulabschluss zu erreichen. „Wir haben eine sehr heterogene Schülerschaft“, erklärt Gudrun Grandrath, die pädagogische Leiterin der Klassenstufen neun und zehn. Frau Grandrath liegt es am Herzen, dass die Lernangebote zu den Neigungen und Interessen der Schüler*innen passen. Sie machte sich daher auf die Suche nach Möglichkeiten, bei denen „die Schüler auch mal mit den Händen arbeiten“ können, nach „etwas Greifbarem, bei dem sie sehen, was sie geschafft haben.“ Auf ihrer Suche stieß sie 2016 auf eine Ausschreibung der GemüseAckerdemie, bei der man einen Schulgarten gewinnen konnte. Ohne große Erwartungen nahm sie daran teil. „Der Gewinn kam relativ überraschend“, erinnert sie sich.

Heute ist der Acker fester Bestandteil der Schule und kaum noch wegzudenken. „Unser Acker liegt unmittelbar am zentralen Wiesengrund, wo man schön sitzen und grillen kann“, erklärt Marcus Wald, der die Schule seit Gründung im Jahr 2013 leitet. Umringt wird der Acker von einer Streuobstwiese, einer Bienenweide und einem Sandarium – einer sandigen Niststätte für Wildbienen.

Von Klassenstufe sechs bis zehn steht den Schüler*innen ein breites Angebot an Wahlpflichtfächern zur Verfügung. So können sie eine zweite Fremdsprache erlernen oder sich für „Darstellendes Spiel“, „Kunst und visuelle Kommunikation“, „Sport und Gesundheit“, „Technik“ oder „Ökologie“ entscheiden.

Im Wahlpflichtfach „Ökologie“ setzen sich die Schüler*innen mit naturwissenschaftlichen Zusammenhängen auseinander. Der Einstieg in die Thematik erfolgt praktisch und greifbar: Die Schüler*innen bewirtschaften für ein halbes Jahr den Schulacker und erleben somit hautnah die Zusammenhänge eines Ökosystems im nahen Umfeld. Schritt für Schritt vertiefen die Schüler*innen ihr ökologisches Verständnis, bis sie sich in den Klassenstufen neun und zehn komplexeren Ökosystemen im globalen Umfeld widmen.

„Die Schulen in Rheinland-Pfalz sind relativ frei in der Konzeption eines Wahlpflichtfachs. Man kann sich die Themen selbst setzen und definieren“, berichtet Herr Wald. „Das ist genial, da man Besonderheiten wie unsere riesige Grünflache im Umfeld der Schule produktiv für sich einbringen kann.“ Durch die Verankerung im Fach „Ökologie“ ist der Acker zu einer Selbstverständlichkeit geworden. „Die Anknüpfung an ein festes, verbindliches Konzept würde ich sofort wieder so anstreben, weil es den reibungslosen Betrieb sicherstellt“, erklärt der Schulleiter. Das heißt einerseits, dass die Naturwissenschaftler*innen im Kollegium sich darauf einstellen, dass sie für dieses Fach eingesetzt werden können: „Das war nie mit Diskussionen verbunden“, erzählt er. Andererseits ist gewährleistet, dass immer zwischen 15 und 20 Schüler*innen den Schulacker bewirtschaften. Wenn das Ackern als Arbeitsgemeinschaft laufen würde, „dann könnte es auch mal passieren, dass wir in einem Jahr mit sehr wenigen Kindern ackern müssten“, erzählt Frau Grandrath und ist froh, nicht jedes Jahr um genügend Teilnehmer*innen kämpfen zu müssen.

Das Fach „Ökologie“ hat Michaela Lohmer mitentwickelt. Heute ist sie eine von fünf AckerLehrer*innen der Schule. Kolleg*innen an ihrer Seite zu haben, empfindet sie als große Erleichterung. Im ersten AckerJahr stemmte sie nämlich zunächst alles allein. Obwohl die Eltern den Acker sehr wertschätzen, mangelte es trotz vermehrter Aufrufe auf der Homepage an Mithilfe. Nach und nach stieg jedoch das Interesse und die Beteiligung des Kollegiums. Die positive Einstellung gegenüber dem Acker zeigt sich auch, wenn es ans Ernten geht und die Lehrer*innen den AckerSchüler*innen große Mengen an Gemüse abkaufen. Herr Wald erinnert sich mit Staunen an eine besondere Ernte: „Die ganze Ernte war schon verteilt und vergeben, bevor sie vom Feld geholt wurde.“ 

Thomas (14 Jahre) hat dabei gelernt, „dass man ohne Chemie und künstliche Dünger auch eine gute Ernte erzielen kann.“ Als diese in einem Jahr sehr üppig ausfiel, mussten sich die AckerSchüler*innen verschiedene Vermarktungsstrategien überlegen. Die Klasse entschied sich, das Gemüse nebenan auf einem Campingplatz zu verkaufen. Matthias (15 Jahre) freut sich noch heute über das gute Geschäft: „Die Leute haben dann gerne auch Trinkgeld gegeben, weil sie die Aktion sehr schön fanden.” Einen Teil der Ernte probierten und verkochten die Schüler*innen jedoch auch selbst. „Mangold kannte ich vorher nicht, das hat echt lecker geschmeckt“, erzählt Matthias und auch Frau Lohmer hat für sich erkannt: „Ich habe Sellerie immer gehasst. Jetzt weiß ich warum: Weil der gekaufte einfach nicht schmeckt.“

Aber nicht nur die Ernte ist gewinnbringend. Frau Lohmer erzählt, dass der Acker sich sehr positiv auf das Wissen der Schüler*innen auswirkt. Sie behalten Lerninhalte viel besser – zu ihrem Erstaunen ganz ohne Arbeitsblatt. „Wenn man auf dem Acker mitgearbeitet hat, dann wusste man das einfach“, bestätigt Fabian (14 Jahre), weil „man das anwenden konnte, was man im Unterricht gemacht hat.“ Matthias hofft, dass er sein gärtnerisches Wissen noch in vielen Jahren abrufen kann: „Wenn man später mal in Rente ist, kann man zu Hause auch selbst Gemüse anbauen.“

Lukas (14 Jahre) erinnert sich, dass manche seiner Klassenkamerad*innen mehr über die Bedürfnisse der Pflanzen wussten und manche weniger. „Weil man sich gut absprechen muss, um aus dem Acker möglichst viel Ertrag rauszuholen“, habe er seine Kommunikationsfähigkeit stärken können. Auch habe er gelernt, Kritik von anderen anzunehmen, die es besser wussten als er selbst. Für Thomas ist die Erfahrung besonders wertvoll, „dass man zu zweit viel mehr schaffen kann“ als allein. Einige Schüler*innen fingen sogar an, eigene Praktiken zu hinterfragen und zu verändern: „Auf jeden Fall habe ich vorher mehr Gemüse aus anderen Ländern gekauft. Jetzt achte ich öfter darauf, regionale Produkte zu kaufen“, erzählt Thomas. Matthias erklärt: „Wir haben gemerkt: Die Ackerarbeit ist kein leichter Job“, und findet, „dass die Leute, die Gemüse anbauen, auch ein faires Gehalt bekommen sollten.“  

Besonders spannend am Acker der IGS Remagen ist das blühende Sponsoren-Netzwerk. Durch verschiedene Werbemaßnahmen fand sich ein Bauunternehmer, der einen Bauwagen für die Gerätschaften spendete, eine Messebaufirma, die die Streuobstwiese finanzierte und ein Baumarkt, der zwei Hochbeete sponserte. „Bei den Finanzen fühlen wir uns sehr gut unterstützt von außerschulischen Partnern“, erzählt Herr Wald. Für die Akquirierung der Partner wurde so einiges an „Hirnschmalz und Menschenkraft“ investiert. Doch diese Arbeit lohnt sich. Durch Öffentlichkeitsarbeit erfahren externe Entscheidungsträger*innen vom Acker und vom Schulgeschehen. „Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung sind Themen, mit denen sich die Schule besonders identifiziert“, erzählt Herr Wald. So ist vor kurzem eine Kooperation mit der Stadt entstanden, bei der das Schulgelände klimagerechter gestaltet wird.

Für die Umgestaltung des Schulgeländes gibt es jede Menge Ideen. Wenn Matthias selbst entscheiden könnte, würde er „auf jeden Fall mehrere Äcker anlegen – für jede Stufe einen.“ Frau Lohmer erzählt: „Da steht zunächst das Gewächshaus auf dem Programm, da wir anfangen wollen, unsere Pflanzen selbst zu ziehen, um unabhängiger zu werden.“ Oder es könnte Regenwasser gesammelt werden – das Dach muss nämlich ohnehin renoviert werden. Diese Idee würden die Schüler*innen besonders begrüßen. Sie diskutieren schon hitzig, welche Art der Bewässerung sinnvoll wäre: „Tröpfchenbewässerung!“, ist Matthias felsenfest überzeugt. So würde am wenigsten Wasser verdunsten und die große Anstrengung des Gießens im Hochsommer entfallen. Es bleibt also spannend, welche Ideen ins Rennen gehen und wie sich der Acker der IGS Remagen zukünftig entwickeln wird.