Die GemüseAckerdemie ist ein Bildungsprogramm von Acker

Acker Porträt 01. Februar 2022

Die AckerPerle Bodelschwingh-Gymnasium Herchen

Nele vom Bodelschwingh-Gymnasium freut sich über ihre Ernte ohne Plastikverpackung! Bodelschwingh-Gymnasium Herchen

Die Biologie- und AckerLehrer Oliver Firnrohr und Tobias Seitz starteten den Schulacker 2018 als Angebot für das Wahlpflichtmodul der Schule. Nach nur drei Jahren mit der GemüseAckerdemie sind die Bodelschwingher jetzt bereit, den Acker komplett allein zu planen und zu organisieren. Und weil das Bodelschwingh-Gymnasium Herchen die GemüseAckerdemie ganz besonders gut in ihren Schulbetrieb integriert hat, gehört sie zu unseren „AckerPerlen“. Für diese Rubrik haben wir im Rahmen unserer Wirkungsanalyse Schulleitungen, Lehrer*innen und Schüler*innen von AckerSchulen interviewt, die sich durch besondere Schulkonzepte auszeichnen. In den kommenden Wochen stellen wir euch hier noch einige weitere Schulen vor – seid gespannt!

Autorin: Lena Hetzer

Fotos: Bodelschwingh-Gymnasium Herchen

Steckbrief

Ort: Windeck-Herchen

Bundesland: Nordrhein-Westfalen

Schulform: Gymnasium

Schüler*innen: circa 650

AckerKlassen: 7. und 8. Klassenstufe

Anzahl Lehrer*innen/Mitarbeiter*innen: circa 50

Anzahl AckerLehrer*innen: 3

AckerSchule seit: 2018

Größe des Ackers: 225 m2

Inmitten einer Streuobstwiese mit Blick auf den Wald liegt der Schulacker des Bodel­schwingh-Gymnasiums Herchen im nordrhein-westfälischen Rhein-Sieg-Kreis. Umge­ben von Apfel-, Birnen-, Kirsch- und Pflaumen­bäumen wirkt das Gelände wie ein Schlaraffen­land. Auch wenn die Region sehr ländlich ist, stellt die Schulleiterin Dr. Judith Pschibille fest, dass viele Kinder den Bezug zur Natur verloren haben. Scheinbar einfache Dinge wie Regenwürmer und Insekten kennen viele Kinder nicht. Umso will­kommener ist ihr der Schulacker: „Wenn die Kin­der in der Erde wühlen und sehen, welche Tiere und welcher Reichtum da drin ist – das finde ich toll, wenn sie das erleben dürfen.“

Die Biologielehrer Oliver Firnrohr und Tobias Seitz starteten den Schulacker 2018 als Angebot für das Wahlpflichtmodul der Schule. Nach nur drei Jah­ren mit der GemüseAckerdemie sind die Bodel­schwingher jetzt bereit, den Acker komplett allein zu planen und zu organisieren. „Am Anfang habe ich gedacht, ich habe überhaupt keinen Plan und dass ich viel mehr nicht weiß über den Acker, als dass ich was weiß“, erzählt Oliver Firnrohr. In den ersten beiden Jahren konnten beide mit Hilfe des Teams der GemüseAckerdemie viel beobachten und lernen. Doch das Selbstbewusstsein ist über die Jahre gewachsen und auch der Mut, eigene Experimente zu wagen und Fehler zu machen.

Der AckerUnterricht hebt sich deutlich vom nor­malen Unterricht im Klassenzimmer ab. Schullei­terin Dr. Judith Pschibille gefällt besonders, dass die Kinder die komplexen Zusammenhänge in einem Ökosystem nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch erfahren und dabei vernetztes Denken üben. Ehemaligen AckerSchüler*innen ist auch zwei Jahre später die Verknüpfung von Wissen und Erleben noch besonders in Erinne­rung. Auf dem Acker hat „man endlich was selbst gemacht“, sagt Lea (13 Jahre). Anstatt „einfach nur in der Klasse zu sitzen und ins Buch zu star­ren und sich irgendwas vom Lehrer anzuhören“, hat „man selbst Erfahrungen gesammelt und am Ende auch immer ein Ergebnis gehabt, worüber man sich dann gefreut hat. Worauf man auch hin­gearbeitet hat“, erzählt Marie (15 Jahre). Diese Art von Lernen ist auch dem AckerLehrer Tobias Seitz besonders wichtig: „Einfach die Erfahrung zu machen, eigenverantwortlich zu arbeiten. Und die Freiheit zu haben, was zu machen, das nicht unbedingt immer funktionieren muss, was nicht immer so lösungsorientiert ist, sondern erstmal zu experimentieren und ausprobieren zu können.“

Aus dem Erlebten heraus wächst nicht nur das Verständnis der Schüler*innen für natürliche Prozesse und Zusammenhänge, sondern auch ihr Selbstbewusstsein, Verantwortungsbewusst­sein sowie Wertschätzung für die Arbeit und das geerntete Gemüse. „Es ist schon mehr Arbeit, als einfach in den Supermarkt zu gehen und was zu kaufen“, sagt Laura (15 Jahre). „Man schätzt das dann einfach viel mehr wert, dass man das ein­fach so kaufen kann und ziemlich viel Auswahl hat. Aber es ist trotzdem immer schöner, wenn man es selbst angebaut hat.“ Durch Lauras Be­geisterung am Ackern hat auch ihre Familie be­gonnen, zu Hause Gemüse anzubauen. Es ist ein Hobby, das die Familie zusammenschweißt, er­zählt Lauras Mutter, Nadine Schmidt. Die Familie isst nun mehr Gemüse und achtet beim Einkauf stärker auf regionale Herkunft und biologisch an­gebautes Gemüse.

Nicht nur die Wertschätzung der Schüler*innen für Gemüse steigt, sondern auch die Bereitschaft, Gemüse zu essen und unbekanntes Gemüse zu probieren. Es schmecke besser, wenn man es selbst angebaut hat, finden Marie und Laura. „Eigentlich hat fast alles geschmeckt, weil man viel davon auch direkt essen konnte. Man hat mehr Lust, das Gemüse vom Acker zu essen, weil man dann selbst dafür verantwortlich war“, er­zählt Laura. Und Nele meint: „Ich finde es einfach cool zu sehen, wenn man eine Möhre aus dem Boden ziehen kann und die kurz abrubbelt und direkt essen kann. Es schmeckt halt einfach bes­ser als aus dem Supermarkt.“

Die Schüler*innen geben die selbstgezüchteten Tomatenpflanzen an Eltern und Lehrer*innen der Schule gegen eine Spende ab, um Geld für weite­re Jungpflanzen und kleinere Projekte im Schul­garten zu sammeln. „Die Schüler wollen natürlich immer mehr Geld dafür haben, weil sie merken, wie viel Arbeit das ist“, erzählt Oliver Firnrohr. Die Schüler*innen würden dabei zum Teil eigene Ide­en entwickeln und hätten Spaß daran, mit den Erwachsenen zu verhandeln. Das stärke das Selbstbewusstsein. Den beiden AckerLehrern macht es große Freude, die Eigeninitiative der Kinder zu beobachten. Als Lehrer hätten sie oft nur daneben gestanden und ein bisschen dele­giert, erzählt Tobias Seitz.

Von Anfang an war Oliver Firnrohr und Tobias Seitz klar, dass der Schulacker auf Dauer nicht nur von ihnen abhängig sein durfte. Wenn das „nur an Indi­viduen hängt und die dann irgendwann sagen, wir machen es nicht mehr, dann würde so ein Projekt wieder sterben.“ So entwickelten sie gemeinsam das so genannte „ökologische Praxissemester“: Das Semester ist im Biologieunterricht veran­kert und erstreckt sich über die Ackersaison vom 2. Halbjahr der 7. Klasse bis zum 1. Halbjahr der 8. Klasse. Das Praxissemester beinhaltet die prak­tische Arbeit auf dem Schulacker, den Regelunter­richt sowie ein Ökologieprojekt, welches die Schü­ler*innen frei wählen und selbständig durchführen.

Dass sich der Schulacker so gut entwickelt hat, ist der Initiative und dem „Feuer“ der beiden Biolo­gielehrer zu verdanken. „Sowas kann man sich als Schulleitung wünschen, aber man kann es nicht fordern“, ist Dr. Judith Pschibille überzeugt. Es brauche die eigene Begeisterung der Lehrer*in­nen, dann müsse die Fachschaft, die Schulge­meinde und die Schulkonferenz davon ebenfalls begeistert und überzeugt werden. Gleichzeitig unterstützte die Schulleiterin die Bemühungen von Oliver Firnrohr und Tobias Seitz aktiv, so stellte sie zum Beispiel den Stundenplan um, um das öko­logische Praxissemester zu ermöglichen. Und auch bei der zukünftigen Einstellung von neuen Biolo­gielehrer*innen einigten sich die Lehrer mit der Schulleitung: Künftige Biologie-Kolleg*innen müs­sen auf jeden Fall Lust auf den Schulacker haben!

Über die Jahre kamen immer mehr Elemente zum Acker hinzu – eine Kräuterspirale, eine insekten­freundliche Blumenwiese und eine Pergola für ein Draußen-Klassenzimmer. Doch für das Team des Bodelschwingh-Gymnasiums Herchen ist das erst der Anfang. Das Schulgelände erstreckt sich vom Flusstal der Sieg bis zum Wald hinauf. Ralf Dieren­feldt, stellvertretender Schulleiter, sieht hier noch viel Potential: „Wir haben hier sehr schöne Voraus­setzungen und können mehrere Ökosysteme ab­bilden. Warum das nicht ausnutzen?“ Im Jahr 2021 wird das ökologische Praxissemester nun zum ers­ten Mal erprobt. Dann soll diese Form der Projekt­arbeit nach und nach auch in anderen Fächern ver­ankert werden. Denn hierin sind sich Lehrer*innen und Schulleitung einig: Projektorientiertes Lernen vermittelt den Schüler*innen wichtige Kompeten­zen für die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft.