Mitmachen 07. Juli 2023

Rar gesät: 5 Vorteile alter und seltener Gemüsesorten

Alt, aber oho! Alte Gemüsesorten zeugen von der einstigen Vielfalt in den Gemüsebeeten. Dr. Thomas Gladis

Was ist eigentlich eine alte Gemüsesorte? Eins gleich vorweg: Eindeutig definieren lässt sich das nicht, denn „alt“ kann je nach Zusammenhang 20, 100 oder mehr Jahre bedeuten, und auch „Sorte“ ist ein unscharfer Begriff.

Wir definieren „alte Sorten“ daher vor allem als Gegensatz zu den modernen Zuchtsorten, die heutzutage insbesondere in der industriellen Landwirtschaft verwendet werden. So verstanden sind alte Sorten Gemüsesorten, die zum einen über mehrere Generationen hinweg in bäuerlicher Tradition gezielt ausgewählt und gezüchtet wurden, sich zum anderen aber auch durch unabsichtliche Kreuzungen verändert und weiterentwickelt haben. Viele dieser alten Sorten und somit ein großer Teil der einstigen Gemüsevielfalt sind in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen.

Baust du alte Sorten an, hältst du damit also eine bäuerliche Tradition am Leben und tust etwas für den Erhalt der biologischen Vielfalt! 5 weitere Vorteile alter und seltener Gemüsesorten haben wir im Folgenden für dich zusammengefasst:

Alte-Sorten-Fakt № 1: mehr Geschmack und Inhaltsstoffe

Viele alte Gemüsesorten kannst du mit dem Gaumen erkennen – sie schmecken einfach intensiver! Das liegt daran, dass die traditionellen Züchter*innen viel Wert auf das Aroma ihrer Sorten legten. Im Gegensatz dazu stehen bei moderneren Zuchtsorten für die industrielle Landwirtschaft einheitliches Aussehen und hoher Ertrag im Vordergrund – oft zulasten des Geschmacks.

Eine Hand hält eine rote Tomate

Mach den Geschmackstest!

Baue eine alte Gemüsesorte an (zum Beispiel die Tomatensorte 'Berner Rose') und vergleiche das Aroma mit einer herkömmlichen Tomate aus dem Supermarkt – am besten mit geschlossenen Augen. Du wirst überrascht sein, wie viel tomatiger eine Tomate schmecken kann!    

© Foto: Laurent Hoffmann für Acker e. V.

Außerdem sind alte Sorten in der Regel regional entstanden und daher perfekt an Klima, Boden und Witterungsverhältnisse angepasst. So können die Pflanzen das Beste aus dem Boden rausholen und haben neben einem intensiveren Aroma auch viele Mineral- und Nährstoffe zu bieten.

Alte-Sorten-Fakt № 2: vielfältig und einzigartig

Neben überzeugenden inneren Werten punkten alte Sorten auch mit gutem Aussehen. Da sie sich einfach vermehren lassen, haben sie sich im Laufe der Generationen in die unterschiedlichsten Richtungen weiterentwickelt. Das Resultat? Eine stetig weiterwachsende Vielfalt, die von rot-weiß geringelten Beten über gelbe Tomaten bis zu blauen Kartoffeln reicht.

Der einzigartigen Formenvielfalt alter Sorten ist es zu verdanken, dass sogar „Erdbeeren“ und „Tannenzapfen“ in so manchem Gemüsebeet zu finden sind. So überrascht der Erdbeer-Mais mit gedrungenen, fast kugelförmigen Kolben, die sich von der länglichen Kolbenform des handelsüblichen Zuckermaises auffällig unterscheiden. Und dass es sich bei den 'Rosa Tannenzapfen' um eine Kartoffelsorte handelt, wird spätestens dann klar, wenn die schmackhaften Knollen auf dem Teller landen.

Alte-Sorten-Fakt № 3: Gesundheit!

Alte Gemüsesorten tragen dank ihrer vielenNährstoffe nicht nur zu einer gesundheitsbewussten Ernährung bei – sie wachsen auch selbst zu gesunden und robusten Pflanzen heran. Da sie sich im Laufe der Jahre ganz ohne Kunstdünger und Gentechnik entwickelt haben, besitzen sie eine natürliche Resistenz gegen viele Krankheiten und Schädlinge. Je nach Sorte können sie sogar extreme Wetterschwankungen besser verkraften als so manche moderne Züchtung.

Alte-Sorten-Fakt № 4: selten und begehrt

Sind alte Sorten selten? Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten, da es durchaus weitverbreitete alte Sorten gibt, die auch länderübergreifend erhältlich sind. Andersrum ist das Bild schon klarer: Ist eine Gemüsesorte selten, ist sie oft auch eine alte Sorte, denn das Saatgut für die meisten modernen Zuchtsorten wird für die industrielle Landwirtschaft entwickelt und in großen Massen hergestellt.

So kann es durchaus vorkommen, dass eine alte Gemüsesorte in nur einem einzigen Garten wächst. Umso begehrter ist das Saatgut dieser Sorten bei privaten Gemüsegärtner*innen und Züchter*innen, die auf Saatguttauschbörsen dafür sorgen, dass seltene Sorten nicht aussterben.

mehrere Palmkohlpflanzen in einem Beet

Gemüse auf Weltreise

Alte Sorte in neuem Glanz: die Palmkohlsorte 'Negro Romano'

Alte Sorten haben viele Geschichten zu erzählen, manch eine hat sogar eine ganze Weltreise hinter sich. So etwa die Palmkohlsorte 'Negro Romano', die im Handel bis vor kurzem kaum noch anzutreffen war.

Italienische Auswander*innen brachten die Kohlsorte vor langer Zeit nach Argentinien. Auf einer Sammelreise wurden sowjetische Forscher*innen auf die Sorte aufmerksam und brachten sie mit nach Leningrad (heute Sankt Petersburg). Von dort erhielt die Genbank Gatersleben in Sachsen-Anhalt etwas Saatgut, wo sich auch der heutige Acker e.V.-Kulturpflanzenexperte Dr. Thomas Gladis mit dem Palmkohl befasste.

In Gatersleben rührte man in den 1980er-Jahren fleißig die Werbetrommel für den wohlschmeckenden Kohl. Mit Erfolg: Über private Züchter*innen und Organisationen zum Erhalt von Saatgut gelangte die Sorte 'Negro Romano' schließlich nach über 150 Jahren zurück in den Gemüsebau und auf die Wochenmärkte.

© Foto: Lena Giovanazzi

Alte-Sorten-Fakt № 5: schonen Umwelt und Geldbeutel

Alte Sorten sind samenfest: Sind deine angebauten Pflanzen reif, entwickeln sie Samen, die du dann erneut aussäen kannst. Somit kannst du aus alten Sorten dein eigenes Saatgut gewinnen und dir eine langjährige, kostenlose Versorgung mit leckerem Gemüse sichern – ohne auf den guten Geschmack oder die schönen Farben verzichten zu müssen. Wenn du eigenes Saatgut gewinnst, entfallen damit auch die Verpackung und der Transport. Nachhaltiger geht’s nicht!

Du siehst also: Es lohnt sich gleich mehrfach, alte Sorten anzubauen! Wenn auch du zur Sortenretter*in in deinem Beet, Hochbeet oder auf deinem Balkon werden möchtest, findest du Saatgut von alten Gemüsesorten auf Samentauschbörsen, im „Alte Sorten“-Saatgutset unseres Kooperationspartners Fryd oder auf Anfrage in Katalogen von Saatgutvereinen (z. B. VERN e.V., VEN e.V., ProSpecieRara).

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