Acker Porträt 23. September 2019

„Jede Krise ist eine Chance.“

Ackern #mitHerzundSpaten für Ackerdemia: das Gründungsduo Julia und Christoph Ackerdemia e. V.

Von 24/7-Betreuung bei der GemüseAckerdemie, einem Büro im Klassenraum und der Geburt von Orangela Möhrkel, über Spaß, Vertrauen und Teamspirit bis zu einem Beharrlichkeits-Gen: 2014 haben Christoph und Julia Ackerdemia e.V. gegründet und das Bildungsprogramm GemüseAckerdemie offiziell gestartet. Im AckerPorträt lassen sie Meilensteine, Krisen und Erfolge aus den vergangenen 5 Jahren Revue passieren.

Wir feiern diesen Monat 5 Jahre den gemeinnützigen Verein Ackerdemia. Erinnert ihr euch noch an den Tag der Gründung?

Christoph: Das war sehr unspektakulär. Am 16. April 2014 haben wir das Schreiben vom Finanzamt gekriegt, das kann ich gerne schildern. (lacht) Nein, wir haben das in dem Moment nicht gefeiert, auch weil wir viel zu tun hatten und mitten in der AckerSaison waren.

Die Arbeit hatte ja schon längst begonnen: Christoph, die Idee hattest du schon 2012, den ersten Praxistest hast du 2013 mit deiner Schwester, die Lehrerin ist, gemacht. Was war damals deine Vision?

Christoph: Mein Ziel war, etwas zu entwickeln, was wirklich alle Kinder nachhaltig erreichen kann. Die Vision war schon immer, das Verhalten der Kinder zu verändern. Die Frage war nur der Weg dahin. Der hat sich über die Zeit sehr oft angepasst. Das erste Konzept war noch auf viel mehr Fläche angelegt, mit einem Hektar pro Schule haben wir gerechnet. Das haben wir ziemlich schnell verworfen (Anm. der Redaktion: Eine Schule hat es in diesem Jahr sogar so ähnlich umgesetzt.). Aber die Vision war schon immer, den Kindern die Themen Landwirtschaft und Nachhaltigkeit nahe zu bringen. Kindern zu zeigen, wo unser Essen herkommt.

Du hattest ja schon mal ein Sozialunternehmen in Ghana gegründet, war deshalb für dich von Anfang an klar, wo die Ackerdemia-Reise hingeht?

Christoph: Ich habe immer viele Ideen gehabt, aber habe zum Glück die meisten wieder verworfen. Die Idee zur GemüseAckerdemie hat sich über meine Arbeit als Wissenschaftler und meine Einflüsse von zu Hause, meine Kindheit auf dem Hof, entwickelt. Dann ist meine eigene Tochter geboren, und ich habe mich gefragt: Wie wächst sie auf? Ich hatte keinen Hof um die Ecke und auch keinen Garten. Und dann habe ich mich gefragt, was es an Schulen gibt und was da fehlt. Dass ich ein Sozialunternehmen gründen wollte, war für mich von vornherein klar. Ich wollte keine NGO aufbauen, nichts, was dauerhaft auf Spendenbasis basiert. Ich hatte auch nie ein klassisches Unternehmen im Kopf: Das wäre mir zu eindimensional und wenig verändernd. Die Ideen mussten schon immer einen sozialen Mehrwert haben oder ein soziales Problem lösen.

Julia, du bist 2013 dazu gekommen. Was hast du gedacht, als du das erste Mal von Christophs Idee gehört hast?

Julia: Soll ich ehrlich sein?

Ja.

Julia: Ich dachte, das wäre ein Elternzeit-Beschäftigungsprojekt. (beide lachen) Christoph hatte die Idee und hat damals seine „persönliche Personalerin“ (lacht) losgeschickt – seine Frau, meine Cousine. Sie hat zu mir gesagt: „Du, Christoph hat da eine Idee. Hast du Lust dir das einmal anzuhören?“ Ich so: „Klar.“ Und dann ging es los: Christoph hat mich zum Test auf seinen Selbsternte-Acker geschickt – und ich habe im Sommer alle Kürbisse geerntet. (beide lachen) Und dann sind wir zusammen nach Bedburg an die erste Pilotschule gefahren. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern: Wir haben bei Christophs Schwester Ulrike auf dem Hof übernachtet. Ich bin so um 7 Uhr wach geworden. Mit meinem Baby auf dem Arm bin ich zu Ulrike und hab gefragt: „Wo ist denn Christoph?“ Und sie so: „Der ist schon um 4 Uhr aufgestanden und ist mit dem Trecker unterwegs.“ Ich dachte nur: Okay, krass. (lacht) Da hab ich Christophs Tagesrhythmus kennengelernt.

Wann hast du gemerkt, dass das Ganze mehr als nur ein Elternzeit-Beschäftigungsprojekt ist?

Julia: Hmmm, gute Frage. Ist es das nicht? (beide lachen) Nee, ich weiß gar nicht wann, aber ich glaube, als die ersten Leute dann auch wirklich eingestellt wurden. Als Leute angefangen haben, ihre Jobs aufzugeben, um bei uns anzufangen. Dass sie sich dafür entscheiden, bei Ackerdemia zu arbeiten. Da dachte ich: Wow! Das ist eine andere Verantwortung. Wir fingen an, eine Organisation zu werden. Wir mussten Arbeitsverträge machen und Urlaubsregelungen finden.

Christoph: Das weiß ich auch noch. Das war Julia dann auch wichtig, und sie hat dann gesagt: „Christoph, wir müssen da was ändern.“ Mir waren die Ansprüche der Leute nicht so bewusst. Es war eigentlich gang und gäbe, dass man bei uns ohne Arbeitsvertrag angefangen hat. (beide lachen)

Julia: Und dann kam das mit diesem Urlaub. Unsere Pro-bono-Anwälte haben uns die Verträge aufgesetzt mit dem Mindestmaß, das gesetzlich vorgeschrieben ist. Und ich dann so: „Ey Christoph, hast du da wirklich nur 20 Tage Urlaub reingeschrieben?“ Und er so: „Ja, wieso? Hä?“ (beide lachen)

Christoph: Ich kannte ja normale Arbeitsverhältnisse nicht. Ich war aus der Wissenschaft – da ist es irgendwie anders. Und zu Hause vom Hof bin ich das auch nicht gewohnt. An Arbeitszeiten musste ich mich echt erstmal gewöhnen: Dass man samstags nicht arbeitet – das war mir nicht bewusst. (beide lachen) In der Landwirtschaft ist das einfach anders.

Julia: Das ist total interessant wie unterschiedlich Arbeit definiert und wahrgenommen wird. Diese unterschiedlichen Bedürfnisse zu verstehen und zu berücksichtigen, war für uns ein wichtiger Schritt. Auch weil wir das Ganze zu Beginn überhaupt nicht als Arbeit gesehen haben.

Hattest du auch eine Vision für die GemüseAckerdemie?

Julia: Nee, ich habe nie so weit gedacht.

Christoph: Wir sind ja wirklich total unterschiedlich, das sieht man jetzt auch an unseren Antworten. Wo wir auch immer total unterschiedlich waren: Ich habe immer in Ackerdemia gedacht und Julia hat immer in der GemüseAckerdemie gedacht. Gleichzeitig sind wir von unserer Einstellung oder auch vom Typ her voll auf einer Wellenlänge. Das ist total der gute Match. Dadurch haben wir den anderen auch immer gut ergänzen können. Und Julia war die, die gesagt hat: „Ey, Christoph, was du da gesagt hast, das kannst du so nicht machen.“ Julia hat da einfach gewisse Antennen, die ich manchmal nicht habe. Deswegen macht Julia ja auch viel interne Kommunikation. Das hat sich perfekt ergänzt.

Julia: Genau wie unsere Arbeitszeiten. Am Anfang haben wir ja gerne mal 24/7 angeboten. Also ich hab immer bis 3, 4 Uhr morgens gearbeitet …

Christoph: … und ich hab ab halb vier übernommen. (beide lachen)

Julia: Manchmal haben wir uns auch nachts, oder Christoph nennt es morgens, noch kurz abgesprochen.

Christoph: Ja, und das hat auch immer richtig Bock gemacht. Natürlich haben sich die Strukturen mittlerweile geändert. Aber wir freuen uns, dass wir den Spirit von damals beibehalten haben – das Ganze mit viel Spaß und Leidenschaft zu machen. Wir haben nicht gegründet, weil wir einen neuen Job brauchten, sondern weil wir Bock darauf hatten und was Cooles aufbauen wollten. Das macht Ackerdemia unheimlich aus. Und deswegen bin ich auch so dankbar, dass Julia dabei ist. Weil wir das, glaub ich, zusammen gut weiter verkörpern können. Wenn einer von uns beiden fehlte, wäre das wahrscheinlich schon schwieriger.

Was schätzt ihr am anderen?

Christoph: Wir haben einen ähnlichen Humor und haben immer total Spaß, auch wenn es manchmal nervige Sachen waren. Wir haben uns über die Jahre einfach sehr gut kennengelernt. Mit Julia hat es immer geklappt, auch wenn wir mal verschiedener Meinung waren, das ging nie aufs Persönliche. Wo wir uns total ähnlich sind, ist: Am Ende haben wir einen sehr hohen Anspruch. Dadurch waren wir immer schon sehr professionell – auch als wir noch in unserem Büro in einem Klassenraum saßen. Trotzdem haben wir die Partner empfangen, als wenn wir weiß-ich-wer wären. Das war für uns selbstverständlich. Ich weiß nicht, was die damals über uns gedacht haben, aber das hat am Ende dann wahrscheinlich auch viele überzeugt. Man hat gespürt: Die haben was Größeres vor, als das, was man jetzt sieht.

Julia: Eine Sache, die ich an Christoph ganz besonders schätze, ist: Jedes Problem ist für ihn eigentlich immer eine Chance für was anderes Gutes. Er sieht es tatsächlich als Herausforderung. Es ist nie eine Wand, vor der man steht und es heißt, da kommen wir jetzt nicht weiter. Das finde ich beeindruckend. Eine Sache, wo wir uns komplett unterscheiden ist Christophs Weitblick – und trotzdem kann er sich megagut auf einzelne Leute einlassen. Ja, und sonst? Bist einfach ‘n cooler Typ. (beide lachen)

Christoph: Ja, wir haben auch beide Bock auf ein Abenteuer. Wir bringen Risikobereitschaft mit, das haben viele nicht. Und Julia ist so’n Typ, mit der kannst du Pferde klauen. Das passt zum Start-up. So jemanden brauchst du da.

Julia: Man muss sich verlassen können. Das ist es eigentlich. Wenn man weiß: Ich kann mich darauf verlassen, ich kann auch sagen, was mich stört. Ein großes Vertrauen einfach.

Was war rückblickend ein besonders entscheidender Moment in den letzten fünf Jahren?

Christoph: Ich kann mir das schon selber fast nicht mehr richtig vorstellen, aber es war schon krass, wie unrealistisch das Ganze am Anfang war. Wir haben eigentlich nur negatives Feedback für die GemüseAckerdemie bekommen und das über eine relativ lange Zeit. Ich muss irgend so ein Beharrlichkeits-Gen haben, dass ich sage: Das ist mir egal. Ich konnte das irgendwie ausblenden. Wir haben uns damals gesagt, wir machen das jetzt mal ein Jahr komplett ehrenamtlich und versuchen bis dahin die Finanzierung zu haben. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn das Jahr abgelaufen wäre. Ich weiß nicht, wann ich es wirklich losgelassen hätte, weil ich irgendwann schon extrem fixiert war auf diese Idee. Ich weiß noch, wir hatten über eine Förderung einen Anwalt und der hat sich so zehn Minuten unsere Idee angehört. Dann meinte er: „Kinder, Lebensmittel, Schule. Da fehlen nur noch die Tiere, und dann habt ihr alles, was man juristisch eigentlich nicht machen sollte.“ So ein Feedback haben wir bekommen, und dann war das Gespräch eigentlich auch schon vorbei. Das war exemplarisch dafür. Und dann haben die ersten Schulen zugesagt und das Programm hat erste Wirkung gezeigt – das waren dann wichtige Erfolge.

Und war das ein entscheidender Moment?

Auf jeden Fall. Ein anderer großer Schritt war das EXIST-Stipendium im Februar 2014. Das war schon eine Wahnsinns-Überraschung und ein echter Meilenstein. Kurz vorher hatten wir auch schon die Zusage von der Heidehof-Stiftung bekommen. Dann wussten wir: Jetzt können wir das Jahr hinkriegen. Ja, und dann fing der Flow an! Dann kam der Startsocial-Award im Bundeskanzleramt – das war natürlich nächste Highlight: die Geburt von Orangela Möhrkel, unserem Maskottchen! Und dann kam eins nach dem anderen. Es gab immer wieder Herausforderungen, ging auf und ab. Aber wir haben schon so viele Dinge geschafft, und dadurch baust du als Organisation auch Selbstbewusstsein auf, dadurch wirst du viel robuster für alles, was da noch kommt. Das ist auch das, was mir an diesem Unternehmerischen total Spaß macht: Dass man immer schaut, was die Möglichkeiten sind. An dem Konzept mussten wir am Anfang viel rumschrauben, aber ich hab immer an Ackerdemia geglaubt.

Julia: Und ich an die GemüseAckerdemie. (beide lachen)

Was habt ihr auf dem Weg gelernt? Gab es persönliche Hürden für euch?

Christoph: Ich muss schon sagen, dass Personal ein Ding war. Am Anfang waren wir zu dritt oder zu fünft – da war Personal ja kein Thema. Ich weiß noch, als wir so zehn waren, da dachte ich: Boah! Was das an Zeit einnimmt, schon alleine die richtigen Leute zu finden! Ein halbes Jahr hat mir das wirklich Kopfschmerzen gemacht. Aber danach war mir klar: Das ist das Entscheidende, und jede Minute, die ins Personal geht, ist die bestinvestierte Minute. Ja, und für total viele Herausforderungen, die kamen, haben wir Lösungen gefunden. Ich will gar nicht sagen, dass wir immer die beste Lösung gefunden haben, aber wir sind in der Lage, eine Lösung für eine Herausforderung zu finden, die wir vorher noch nicht hatten. Und das ist ein gutes Gefühl.

Vorhin haben wir Fotos angeguckt, als ihr selbst auf dem Acker wart mit der Pilotklasse in Bedburg. In diesem Jahr ackern fast 500 Lernorte mit der GemüseAckerdemie. Eine ganz schön abstrakte Zahl, oder?

Christoph: Manchmal lese ich einen Zeitungsartikel über die GemüseAckerdemie, und die findet da ganz unabhängig von mir statt. Da sind so viele Elemente drin, wo wir uns den Kopf zerbrochen haben – und jetzt funktioniert vieles davon! Das ist schon abgefahren.  

Julia: Ich hatte ja irgendwann auch nur noch ganz wenig mit dem Operativen zu tun, und vielleicht ist mir deshalb auch das Thema interne Kommunikation so wichtig geworden. Die Zahl, die wächst und wächst, aber man kriegt im Büro in Berlin oder Potsdam nur noch wenig von der Umsetzung mit. Das ist auch ein Prozess, das ein Stück weit abzugeben. Wenn man weiß, da sind Leute, die kriegen das so cool hin, und das Programm kann auch in der Masse in hoher Qualität durchgeführt werden, dann ist das ein ganz wichtiger Punkt, an dem man das Abgeben als was sehr Positives sehen kann.

5 Jahre Ackerdemia – wie geht es jetzt weiter?

Julia: Da musst du Christoph fragen. (beide lachen)

Christoph: Was ich mir für Ackerdemia wünsche – egal welches Wachstum da ansteht – ist, dass dieser Spirit erhalten bleibt. Ich glaube, dass wir echt stolz darauf sein können. Als wir von zehn auf 20 oder 30 Mitarbeiter*innen gewachsen sind, da haben wir schon gedacht: Oh, ist das vielleicht die Grenze? Aber es muss nicht zwingendermaßen die Grenze sein, wir müssen nur andere Methoden oder einen anderen Lösungsweg finden. Das kann man ja offen sagen: Vor einem Jahr, anderthalb war die Stimmung nicht halb so gut. Das war schon richtig schwierig, wo wir uns hinterfragt haben. Dass wir das jetzt innerhalb von einem guten Jahr wieder in eine ganz andere Richtung – obwohl wir mit 70 Leuten fast doppelt so viele sind – gedreht haben, das ist, finde ich, der größte Erfolg ehrlicherweise. Dass wir das Team wieder so auf die Ackerdemia-Spur gebracht haben, auf der wir damals auch waren und wie wir uns das immer gewünscht haben. Das ist der größte Erfolg.

Julia: Ja, das stimmt, die Stimmung war mal anders.

Christoph: Sie musste auch anders sein, damit wir uns da weiter entwickeln. Aus einer Krise kommt eine Chance. In dem Fall war es schon so, dass wir nicht wussten, ob es da wirklich eine Lösung für gibt. Das war das erste Mal.

Julia: Siehst du, du hast es schon wieder gesagt: Jede Krise ist eine Chance. (beide lachen)