Ackern im Krankenhaus – Ein Therapiegarten für Patient*innen in Kufstein
Erntezeit im Therapiegarten des Bezirkskrankenhauses Kufstein. Christiane Moser
Christiane Moser ist ausgebildete Ergo- und Gartentherapeutin. Im Bezirkskrankenhaus Kufstein verantwortet sie seit über 20 Jahren einen Therapiegarten für Patient*innen der psychiatrischen Akutstation und der Tagesklinik. Gemeinsam mit einer Sozialarbeiterin hat sie das Ackern damals ins Krankenhaus gebracht. Was mit einer kleinen Grünfläche begonnen hat, ist heute ein ökologisch nachhaltig bewirtschafteter Garten mit Gemüsebeeten, Kräuterspirale, Barfußpfad, Naschhecken und Sträuchern. Dabei begeistert sie nicht nur ihre Patient*innen vom Gemüseanbau, sondern auch ihr Kollegium: seit 2023 hat der Betriebskindergarten des Krankenhauses, die sogenannte „Schatzkiste“, auch einen Acker. Durch die Teilnahme an unserem Bildungsprogramm AckerRacker wurde direkt neben dem Therapiegarten eine weitere Fläche für den Anbau von Gemüse eingerichtet. Patient*innen, Mitarbeiter*innen, Kinder und Pädagog*innen garteln dadurch gemeinsam im Erholungspark des Krankenhauses.
Warum sich Christiane Moser die Hände dreckig macht und welche Wirkung das Ackern bei ihren Patient*innen haben kann, erfährt ihr im Interview.
Liebe Christiane, warum hat euer Krankenhaus einen Acker?
Wir haben das große Glück, dass wir auf dem Krankenhausareal mit einem Erholungspark ausgestattet sind. Seitdem ich im Krankenhaus tätig bin, wollte ich dort einen Garten für unsere Patient*innen machen. Auf einer kleinen Fläche habe ich mit einer Sozialarbeiterin in diesem Park begonnen Gemüse anzubauen und wir waren schnell davon überzeugt ein größeres Projekt daraus zu machen. Ursprünglich hatten wir wenig Ahnung davon, aber nach meiner Ausbildung zur Gartentherapeutin wurden wir immer konkreter. Wir haben ein eigenes Konzept dafür ausgearbeitet und mehr Fläche fürs Ackern bekommen. Seither gibt es den Therapiegarten für die Patient*innen der Psychiatrie am Bezirkskrankenhaus in Kufstein.
Wie dürfen wir uns das Gärtnern mit Patient*innen konkret vorstellen?
Im Prinzip ist es so, dass wir gemeinsam Gemüse, Beeren und Kräuter anbauen. Unser Garten ist ähnlich einem Hausgarten, nur dass er zusätzlich auch für therapeutische Zwecke genutzt wird. Gerade in der Ergotherapie, wo es viel um Aktivitäten im Alltag geht, passt das Ackern wunderbar. Wir versuchen dabei sehr zielgerichtet vorzugehen. Das funktioniert besonders in der psychiatrischen Tagesklink gut, da die Patient*innen meist über einen längeren Zeitraum bei uns sind. Sie sind hier in den kompletten Kreislauf integriert. Also vom Gemüseanbau, über die Ernte bis hin zur Verwertung. Von Frühling bis Herbst sind wir mindestens einmal pro Woche im Garten. Natürlich ist das nicht immer möglich und manchmal auch wetterabhängig, aber wir versuchen es regelmäßig zu tun, um Veränderungen sehen zu können.
Warum ist es wichtig, dass Patient*innen einer psychiatrischen Tagesklinik garteln?
Weil der Garten alle Sinne anspricht und das Grün wirkt! – Aber das brauche ich euch von Acker ja nicht erzählen… Bei der Gartentherapie geht es auch darum aus einer „versorgten“ Haltung herauszukommen. Bei uns im Krankenhaus werden die Patient*innen viel betreut, aber auch bevormundet. Beim Gärtnern wird man selbst aktiv: „Ich sorge mich selbst um eine Pflanze!“ Diese Erfahrung ist wichtig. Und Pflanzen haben für unsere Patient*innen oft eine gute Zwischenposition. Denn der Kontakt mit Menschen ist für sie manchmal gar nicht so einfach. Es fällt ihnen vielleicht schwer, Verantwortung für das Gegenüber zu übernehmen. Mit den Pflanzen ist es leichter. Sie verzeihen viel. Man kann sie pflegen und verwöhnen, mit ihnen freundlich sein, genauso wie mit Menschen, nur unkomplizierter. Dabei ist es auch nicht so dramatisch, wenn es mal nicht gelingt, sich um sie zu kümmern. Im schlimmsten Fall verwelkt ein Pflänzchen oder es trägt keine Früchte, aber meistens wächst es im nächsten Jahr schon wieder nach und wir können etwas ernten. Diese Erkenntnisse sind wahnsinnig wertvoll und wichtig.
Wie reagieren eure Patient*innen, wenn sie zum ersten Mal ihre Hände in die Erde stecken?
Das ist wirklich sehr unterschiedlich. Von großer Ablehnung bis hin zur totalen Begeisterung habe ich alles erlebt… Bei uns wird niemand gezwungen in den Garten zu gehen. Wir laden auch dazu ein das Ackern nur zu beobachten. Meistens vergehen aber keine zehn Minuten bevor sich die Patient*innen selbst beteiligen wollen. Wenn sie mit den Händen in der Erde arbeiten, merke ich, dass schnell eine gewisse Ruhe einkehrt. Oder aber genau das Gegenteil ist der Fall! Beispielsweise, beim Kompostumgraben oder beim Tragen der schweren Steine für unsere Kräuterspirale. Man kann sich beim Ackern einfach sehr schön verausgaben. Das tut gerade unseren Suchtpatient*innen gut sowie Personen mit angestauten Aggressionen. Sie können ihre Emotionen beim Gärtnern konstruktiv loswerden.
Welche Wirkung könnt ihr dabei noch erkennen?
Bei uns passieren sehr viele Dinge gleichzeitig. Die Menschen sind hier aber vor allem in Therapie. Welche Wirkung das Garteln dann tatsächlich auf sie hat ist schwierig zu sagen. Ganz unmittelbar, wenn sie vom Acker zurück auf die Station kommen, höre ich aber schon oft Patient*innen erzählen: „Das war jetzt richtig fein.“ oder „Das hat mir gutgetan.“ Manchmal merke ich auch, dass sie nach dem Ackern besser drauf sind als davor. Es ist eine hilfreiche Auszeit und es geht darum, die eigenen Ressourcen wiederzufinden. Gerade bei uns in der Psychiatrie bzw. im Krankenhaus beschäftigen wir uns viel mit Dingen, die nicht funktionieren und weniger mit den eigenen Ressourcen. Dabei ist das total wichtig.
Könnt ihr beobachten, dass beim Ackern auch die Selbstwirksamkeit gestärkt wird?
Wenn ich etwas aussäe, pflege, ernte und dann noch verarbeiten kann, stärkt das die Selbstwirksamkeit natürlich enorm. Manchmal ist es so, dass sich jemand für eine Tätigkeit speziell verantwortlich fühlt. Bei den Patient*innen in der Tagesklinik gibt es beispielsweise einen eigenen Gießdienst. Der wird nicht jeden Tag von uns überprüft. Die verantwortliche Person übernimmt diesen selbstständig.
Welchen Beitrag kann das Ackern präventiv leisten, sodass weniger Menschen zu euch ins Krankenhaus kommen müssen?
Ich glaube, es geht viel um Naturverbundenheit. Zu sehen, dass Dinge wachsen können aber auch, dass man selbst etwas verändern und beeinflussen kann. „Empowerment“ ist das Stichwort! Herauszufinden was man braucht und welchen Beitrag die Natur dabei leisten kann. Wenn ich solche Erfahrungen in guten Zeiten schon mal gemacht habe, dann helfen mir diese auch, wenn es schwieriger ist. Generell glaube ich, dass Menschen, die sich viel in der Natur bewegen und sich dort aktiv betätigen, gesünder sind. Das ist eine gewagte Behauptung von mir und wird wahrscheinlich nicht immer auf alle zutreffend, aber es steckt etwas dahinter. Denn Naturerfahrungen prägen Menschen. Man bekommt dadurch vielleicht auch ein gewisses Vertrauen. Also wenn ich zum Beispiel einen Samen säe und dann feststelle, dass daraus eine Pflanze wächst, hilft es meinem Selbstvertrauen wahnsinnig. Diese Erlebnisse sind präventive Aspekte, wenn man Ackert.
Was wünschst du dir für die Zukunft eures Therapiegartens?
Ich finde, jedes Krankenhaus sollte einen Garten haben. – Das würde ich mir wünschen! Und unseren Therapiegarten würde ich gerne noch weiter ausbauen. Ein Garten ist relativ kostenarm. Man kann mit wenigen Mitteln viel machen. Natürlich braucht es Menschen dahinter, die engagiert sind. Meine Zukunftsvision, die schon in meinem Hinterkopf schlummert, ist, dass unser Garten auch von Mitarbeiter*innen genutzt wird. Also ein Gemeinschaftsgarten für Bedienstete. Das Garteln soll alltäglich werden, und zwar in jeder Institution!
Vielen Dank, Christiane, für die Einblicke in deine Arbeit und euren Therapiegarten!
Patent*innen der Psychiatrie beim Ackern im Therapiegarten. Christiane Moser